20.01. Kundgebung in Ulm – ein Symbol, oder mehr?

Gestern versammelten sich rund 10.000 Menschen am Münsterplatz in Ulm um gegen den Rechtsruck und gegen die AfD zu protestieren. Deutschlandweit gehen gerade nach den Veröffentlichungen von Correctiv hunderttausende Menschen auf die Straße. Gegen die AfD und gegen Rechtsruck. Die Bilder sind beeindruckend, doch könnten nur ein Symbol bleiben, wenn es keine grundlegende und langfristige Veränderungen gibt.

Organisiert wurde die Kundgebung durch den “Ring demokratischer Jugend” , bestehend aus vier Jugendparteien. Da wir keinen Redebeitrag trotz Anfrage halten konnten, haben wir unsere Gedanken nun hier zusammengetragen:

Die AfD gewinnt

Die Correctiv-Recherche hat uns mal wieder vor Augen geführt, dass bei der AfD, IB & co faschistische Menschenfeinde den Ton angeben. (Übrigens, es waren auch CDU’ler anwesend). Überrascht hat es uns nicht. Wir und andere Antifaschist*innen sagen das seit Jahren. Dennoch empören wir uns über den Zuspruch, den diese Partei erhält – nicht nur im Osten Deutschlands, sondern hier im Südwesten. Hier eine Unvollständige Auflistung:

  • In Baden-Württemberg hat die AfD über 5000 Mitglieder einen der größten Landesverbande in ganz Deutschland.
  • In Bayern haben neulich über eine Million Menschen die AfD gewählt. In Neu-Ulm konnte der AfD Landratskandidat aus dem Stand 13,2% einfahren, jede 10 Person im Landkreis.
  • Mit Franz Schmid sitzt nun der faschistische Teil der AfD mit im bayrischen Landtag. Dieser fiel erst letzte Woche dadurch auf, dass er mit einigen Kameraden eine Disko besuchte. Ein Video zeigt wie er in der Gruppe steht, die laut Deutschland den Deutschen, Ausländer raus brüllte, eine neonazistische Parole. Es gibt Fotos vom Abend, die die Gruppe mit White Power Handzeichen zeigt.
  • Der verurteilte Neonazi und Bankräuber Markus Mössle wurde 2019 über die AfD Liste in den Ulmer Gemeinderat gewählt. In Ulm stehen im Sommer Europa- und Kommunalwahlen an, bei der die AfD versuchen wird deutlich mehr Leute in den Gemeinderat zu kriegen
  • Ein geheimer Raum der Identitären Bewegung wurde 2022 durch Antifaschist*innen aufgedeckt und geschlossen. Bis dahin war Ulm ein Hotspot für Aktivitäten der IB.
  • Darüber hinaus kam es in den letzten Jahren wiederholt zu rechter Gewalt in Ulm: 2019 kam es in Dellmensingen zu Angriffen durch SSV Nazi-Hooligans auf eine Romafamilie und zu einem rassistischen Angriff im Bürgerhaus Mitte. Seit der Pandemie gibt es eine Zunahm an Versuchen Antifaschist*innen, Klimaaktivist*innen und queere Menschen zu bedrohen oder einzuschüchtern.

Nichts davon wurde gestern auf der Bühne erwähnt.


Machen wir uns nichts vor: Momentan muss die AfD Wahlen nicht gewinnen. Wir sehen seit Jahren, wie ein Ruck nach Rechts durch’s Land geht, der sich quer durch alle Parteien zieht. Wir sehen, wie das Recht auf Asyl Stück für Stück ausgehöhlt wird, wie Menschen auf der Flucht unwürdig behandelt werden, auf dem Mittelmeer ertrinken, anstatt die nötigte Hilfe zu bekommen.

Was uns am meisten ärgert – und das massiv – ist, dass das alles schon passiert, ohne dass die AfD in Regierungsverantwortung ist. Im bürgerlichen Parteienspektrum scheint die Angst vor dem Verlust der eigenen Macht so groß zu sein, dass es das Programm und die Sprache inhaltlich zumindest in Teilen übernimmt. Ein paar Beispiele für Imigration, Asyl und Flucht:

  • Wenn Olaf Scholz sagt “Wir müssen endlich im großen Stil abschieben”
  • Wenn Friedrich Merz sagt “Flüchtlinge kommen hier her und lassen sich die Zähne machen, während Deutsche keinen Zahnarzttermin kriegen”
  • Wenn ein Horst Seehofer sagt: “Wir werden uns bis zur letzten Patrone gegen eine Zuwanderung in die Sozialsysteme verteidigen liebe Freunde”
  • Wenn ein Christian Lindner sagt: “Deswegen kürzen wir die Leistungen für Asylbewerber, deshalb sparen wir eine milliarde Euro beim Bürgergeld, denn wir dürfen es nicht länger tolerieren, wenn Menschen sich weigern, für ihr Geld zu arbeiten”
  • Wenn Aminata Touré die Abschiebung zweier afghanischer Geflüchteter, die trotz Zusage kein schnelles Visum für Deutschland bekommen hatten, rechtfertigt.

Dann ist der einzige Unterschied, dass die AfD die rassistischen und menschenverachtenden Stimmung, die hinter dieser Politik stehen, nicht versteckt und diese noch extremer gestalten will.

Ein Verbot ist keine Lösung

„Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen.“

Esther Bejarano

Gerade im Rahmen der Demonstrationen und auch gestern in Ulm wird offen ein AfD Verbot diskutiert. Natürlich wäre ein erfolgreiches Verbot ein harter (auch finanzieller) Schlag gegen die faschistische Rechte. Aber dass kann und darf nicht unsere einzige Handlungsoption sein. Ein solches Verfahren dauert viele Jahre und ist nicht zwingend erfolgreich.

Außerdem – mit einem Verbot allein ist es doch nicht getan. Die AfD ist ein gesellschaftliches Problem. Durch ein Verbot verschwindet nicht die menschenverachtende Ideologie aus den Köpfen derer, die die AfD aus Überzeugung wählen. Und was machen die dann, wenn ihre Partei verboten wird?

Wir sind der Überzeugung, dass die Antwort nicht in Verboten von oben bestehen kann, sondern in Bewegungen und Druck von unten. Wir müssen jetzt Widerstand leisten und nicht darauf hoffen, dass der Staat und seine Justiz das für uns erledigen. Es ist auch nebenbei sehr bequem, nach einem Verbot zu schreien und dann selber nichts mehr machen zu müssen, weil der Staat wird es schon richten.

Hier bauen sich gerade einige Menschen ein Luftschloss zusammen, was fernab der Realität ist und eine strategische Sackgasse ist. Antifaschismus ist und bleibt Handarbeit.

Langfristige Strategien notwendig

Kundgebungen wie diese sind wichtige Symbole, die uns Kraft geben können. Nur darf es dabei nicht bleiben. Die Rechten denken langfristig in Jahrzehnten, das müssen wir auch tun. Der Kampf geht auch morgen weiter und er wird auch nicht übermorgen vorbei sein. Wir müssen es den Menschenfeinden unbequem machen. Es muss unangenehm sein, mit faschistischem Gedankengut durch die Gegend zu laufen. Sei es am Arbeitsplatz, am Esstisch der Familie, im Sportverein, der freiwilligen Feuerwehr, in der Disco, im Freund*innenkreis, in der Innenstadt und auf dem Dorfplatz.

Widersprecht, seid laut, sorgt für einen Rechtfertigungsdruck, damit sie sich nicht mehr trauen, ihre Positionen in der Öffentlichkeit zu vertreten und seid dabei ausdauernd.

Organisiert euch

Das Wichtigste ist, dass wir zusammen handeln. Und das geht nur wenn wir zusammen diskutieren, planen und Absprachen treffen. Hier wäre gerade in Ulm noch viel Luft nach oben.

Wir glauben Gesellschaft kann durch eine starke Bewegung von unten verändert werden. Eine Bewegung, die sich für das gute Leben für alle Menschen einsetzt. Eine Bewegung, die Verhältnisse aus denen heraus faschistische Regime entstehen können, überwindet.

Für eine Welt, in der wir alle ohne Angst verschieden sein können.
Gemeinsam!


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